INDECT: EU forscht im Geheimen am Überwachungsstaat
In Zusammenarbeit mit der deutschen Piratenpartei wurde heute von der futurezone ein enthüllender Artikel über das EU-Projekt INDECT veröffentlicht. Er basiert auf internen Fortschritts- und Planungsdokumenten, die den Piraten zugespielt wurden. Diese werden der Öffentlichkeit bewusst vorenthalten: Aufgrund vielfältiger Kritik beschlossen die Projekt-Verantwortlichen kürzlich sogar eine neue Geheimhaltungsstufe. Welche Daten an die Öffentlichkeit gelangen, beschließt ab jetzt ein INDECT-„Ethikrat”.
Die Dokumente verraten, dass die EU eine Vielzahl von Technologien erforschen und einsetzen will, um ihre Bürger lückenlos überwachen zu können.
Aufbau automatisierter Überwachungsstruktur
Das Projekt sieht vor, den Einsatz von Überwachungskameras auszubauen und ihre Daten automatisiert auszuwerten. Für die Luftüberwachung sollen sogar Drohnen eingesetzt werden. Außerdem ist geplant, Datenspuren der Bürger im Internet – insbesondere in sozialen Netzwerken, Foren und Blogs – zu analysieren, speichern, vernetzen und nutzen, um potentielle Gefährder zu erkennen.
Überwachungskameras nutzen präventiv die biometrischen Daten aus Pässen, um Personen zu identifizieren. Wie die veröffentlichten Dokumente verraten, sollen durch mangelhaft konzipierte Umfragen unter Polizisten stereotype Gefährder-Profile geschaffen werden: Wie sehen Taschendiebe, Hooligans oder Terroristen aus? Woran erkennt man Vandalismus, Überfälle oder Personen, die Hilfe benötigen? Das Projekt weiß eine Antwort darauf: Generell ist jeder verdächtig, der auf der Straße läuft, rennt oder zu schnell fährt. Wer im öffentlichen Nahverkehr auf dem Fußboden sitzt, zu lange mitfährt oder sein Gepäck vergisst, muss ebenfalls mit Maßnahmen der Sicherheitskräfte rechnen. Genauso verdächtig sind „herumlungern”, sich mit zu vielen Personen treffen und fluchen.
Anhand der gewonnenen Profile sollen die automatisierten Programme lernen, Gefährder selbständig zu erkennen. Angesichts der mangelhaften Ausgangsdaten werden somit falschen Anschuldigungen Tür und Tor geöffnet.
Menschenrechte als Hindernis
Dass diesen Plänen schwerwiegende Bürgerrechts- und Datenschutzbedenken entgegenstehen, ist im Projekt zwar bekannt, wird aber eher als zu überwindendes Hindernis denn als ernstzunehmende Warnung gesehen. So heißt es im „Arbeitspaket 9”:
„Die Methoden, die die Polizei einsetzt, hinken denen der Kriminellen hinterher. Das liegt an zwei wichtigen Faktoren:
- Der Höhe der finanziellen Mittel und deren schnelle und präzise (weil im Gegensatz zu staatlichen Behörden unbürokratische) Verteilung.
- Die Polizei muss die Gesetze und Menschenrechte respektieren.”
Auch andere, sehr schwammig formulierte Absätze zeigen, dass Bürgerrechte und Privatsphäre im Hinblick auf die detailliert beschriebenen Überwachungsziele und -maßnahmen eher als Nebensächlichkeit betrachtet werden. Während Überwachungsmaßnahmen über viele Seiten ausführlich beschrieben werden, werden Datenschutzprobleme nur am Rande thematisiert und rasch vom Tisch gewischt.
Mehr Datenschutz durch INDECT?
Stellenweise sehen die Macher von INDECT ihre Bestrebungen jedoch als Verbesserung des Datenschutzes an. Schließlich, so die Erklärung, würden Personen nicht mehr von anderen Menschen überwacht, sondern vorerst vermeintlich anonym von einer Software. Diese Software entscheide dann gemäß der eingestellten bzw. erlernten Kriterien zu verdächtigem Verhalten, in wessen Privatsphäre später noch tiefer eingegriffen werden soll.
Diese Argumentation führt nicht nur die Unschuldsvermutung ad absurdum, sondern offenbart auch die perverse Logik hinter INDECT: Ein automatisierter, maschineller Eingriff in die Privatsphäre soll nicht schlimm sein.
Die Piratenpartei ist erfreut darüber, die beiden Berichte allen interessierten Bürgern zur Verfügung stellen zu können und fordert die EU und die beteiligten Organisationen auf, alle Dokumente des Projekts zu veröffentlichen.
Wer nicht die Zeit hat, das gesamte Dokument zu lesen, findet nachfolgend eine stichpunktartige Zusammenfassung.
Quellen:
Dokumente – http://files.piratenpartei.de/indect
Artikel – http://futurezone.orf.at/stories/1660457
Links:
- Wikipedia Artikel
- INDECT Zielsetzung
- Vertretung der Studierendenschaft der Uni Wuppertal fordert sofortigen Stopp der Beteiligung an INDECT
- Ethical issues related to the INDECT project
- Projektsteckbrief Drittmittelprojekt Uni Wuppertal
- Protokoll eines Gesprächs mit den Professoren Dziech und Tibken an Uni Wuppertal